ERMITAGE [drafts]

 

22.7.2020

format

szenische installation
Halle

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geöffnet

22.07.2020, 19 Uhr und 21 Uhr

Zu 42-tägiger Quarantäne verurteilt, beginnt Xavier de Maistre 1790 mit seiner Voyage autour de ma chambre. Die Begrenzung seiner physischen Bewegungsfreiheit und die damit gewonnenen zeitlichen Ressourcen nutzt er für kontemplative Expeditionen in die Weiten seiner Seele, während unweit seines behaglichen Interieurs die französischen Revolutionäre an der Abschaffung jeder privaten Innerlichkeit arbeiten. Zurückgezogen in Savoyen, wiederum in privilegierter Umgebung, publiziert er 1794 seine voyages, die das Genre der ‘Zimmerreiseliteratur’ begründen.

Der Erfolg des Genres und seiner Varianten dürfte nicht zuletzt in der therapeutischen Funktion bestehen, die Unvollkommenheiten der Welt durch simulierte Erfahrungsfülle literarisch zu kompensieren. Eine Beteiligung an dem Projekt einer materiellen Transformation der Welt würde die schmerzhafte Preisgabe und Relativierung der Fiktion absoluter Autonomie erfordern. Demgegenüber konnte das bürgerliche Subjekt mittels der sentimentalen Erkundung der eigenen vier Wände sich jener wenigstens im Privaten vergewissern. Literarische Experimente mit den Kleinoden der Nahwelt versprechen eine luxurierende Begegnung mit den radikalen Möglichkeiten menschlicher Freiheit, ohne mit der risikoreichen Drastik und dem Gewaltpotential, das ihre Verwirklichung jenseits der privaten Umgebung begleitet, umgehen zu müssen.

ERMITAGE bearbeitet in einer szenischen Installation drei Varianten dieses Genres als Experimentierfeld eines ‘Sozialismus der Distanzen’. Dabei wird die temporäre Gemeinschaft dreier Text-Körper erkundet, die radikal verschiedene Wege wählen, um sich der Phantasie individueller Souveränität zimmerreisend zu vergewissern. Den Texten – de Maistres Voyage, Guillaume Dustans erotische Autofiktion Dans ma chambre (1996) und Ernst Jüngers Essay Der Waldgang (1951) – ist das performative Paradox gemeinsam, ihrem antimodernen Impuls öffentlich, für ein (lesendes) Publikum nachzugehen. Indem ihre Beziehungsweisen nicht durch den Wunsch nach Identität, sondern durch den nach Differenz charakterisiert sind, können sie als Modell einer vielstimmigen politischen Praxis fruchtbar gemacht werden. Dabei wäre Vereinzelung nicht etwas Gegebenes, sondern paradoxes Begehren und fragile Möglichkeit einer dynamischen Gemeinschaft Vieler. 

Mit Joscha Baltha (Ernst Jünger), Antoine Caxape (Xavier de Maistre), Elena Wolff (Guillaume Dustan) und Nick Romeo Reimann (Secretarius/Serviteur/Slave).

Regie Lennart Boyd Schürmann
Dramaturgie Moritz Nebenführ
Bühne Achinoam Alon
Original Music Christian Naujoks
Maske Lilo Lucia Meyer
 

ERMITAGE [drafts] findet innerhalb der Ausstellung This house is not a home in der Lothringer 13 Halle statt und wird von der Otto Falckenberg Schule/Kammerspiele München ko-produziert.

Referenz Projekt/e
Die international arbeitende, disziplinenübergreifende Plattform K bezieht die Räume des städtischen Kunstraums Lothringer 13 Halle.
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Unter Berücksichtigung der geltenen Hygieneverordnungen und Beschränkungen öffnen wir die Ausstellungshalle während der ersten Aktivierungsphase von  … This house is not a home zu folgenden Terminen: Donnerstag, 25. Juni 2020:
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mit neuen Beiträgen, Workshops, Performances von Mathieu Bessey, Cashmere Radio, Feministisches Frauen*gesundheitszentrum Stuttgart, Kolja Gollub, Jackie Grassmann, Snorre Hansen, Peter Hansen, Katrine Larsen, Stan Iordanov, Kollektiv Crèmbach x Lion Bischof x Charlotte Coosemans x Simone Ganserer…
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Am 11. und 12. September wird This house is not a home zum dritten und letzten Mal aktiviert im Rahmen von various others!
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